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Vom Betreuten zum Betreuer


Liebe Leserinnen, liebe Leser,

hier ist er, der aktuelle UN-Konventionell-Newsletter, den wir kurz vor Ende des Jahres noch auf den Weg bringen. Ein Jahr, das weltpolitisch bewegend war, für uns aber auch bewegend, weil unsere Geschäftsstelle von Bayreuth nach Hamburg umgezogen und unsere neue Website in Vorbereitung ist, und alles, wie sollte es anders sein, mit den üblichen und unvermeidbaren Komplikationen. Aber nun können wir vermelden: Es ist vollbracht, der Umzug vollzogen und Mitte Januar geht auch die neue Website auf Sendung.

In unserem Newsletter haben wir es uns zur Gewohnheit gemacht, Themen der Beruflichen Integration aufzugreifen und zu vertiefen. In dieser letzten 2016er Ausgabe beschäftigen wir uns mit Beispielen Beruflicher Bildung und Qualifizierung im ersten Arbeitsmarkt und fragen in drei Werkstätten nach, die Beschäftigte als Alltagsbetreuer und Kitahelfer für den Einsatz auf Außenarbeitsplätzen fit machen. Außerdem finden Sie die Ankündigung von zwei Fachtagen, die UN-Konventionell im nächsten Jahr veranstaltet: einmal den Fachtag zur Arbeitssicherheit am 5. April 2017 in Köln und unsere Jahrestagung (mit Mitgliederversammlung) am 8. und 9. Mai 2017 wie üblich in Frankfurt am Main. Anmelden können Sie sich bereits jetzt über unsere Website.

Vom Betreuten zum Betreuer
Sie legen Wäsche zusammen, begleiten auf Spaziergängen oder bei Arztbesuchen, gestalten Spielenachmittage, übernehmen kleine Einkäufe, unterstützen bei Mahlzeiten, sind Gesprächspartner, Geschichtenerzähler und geduldige Zuhörer. Oder sie toben und spielen mit Kindern, bestücken auch Spülmaschinen, begleiten auf Toilettengängen, gestalten kreative Bastelaktionen, wissen, ob man einem Vierjährigen noch die Schuhe zubinden sollte, trösten, wenn es mal wehgetan hat, und können „Erste Hilfe am Kind“. Und sind sie erstmal im Einsatz in Seniorenheimen oder Kindertagesstätten, will man sie dort auf keinen Fall mehr missen: Als Werkstattbeschäftigte auf Außenarbeitsplätzen sind Alltagsbetreuer oder Kitahelfer gezielt für ihren Job qualifiziert, eine wichtige Entlastung fürs Fachpersonal und wechseln dabei vom Betreuten zum Betreuer. Einige Werkstätten haben eigene Qualifizierungsgänge entwickelt und vermitteln ihre Teilnehmer in Außenarbeit, zunehmend mit der Option auf Übergänge in den ersten Arbeitsmarkt.

Eine Werkstatt, die schon seit mehreren Jahren ein fundiertes Qualifizierungsangebot zum Alltagsbetreuer und zum Kitahelfer fährt, ist die Lebenshilfe Braunschweig. Ihre Qualifizierungen − für Beschäftigte im Berufsbildungs- wie im Arbeitsbereich −dauern ein Jahr und enthalten einen theoretischen und einen praktischen Teil. Dafür kaufen die Braunschweiger auch externe Experten ein, zum Beispiel für Schulungen zum Thema Demenz oder auch Erste-Hilfe-Kurse. Kooperierende Senioreneinrichtungen oder Kitas übernehmen den praktischen Teil vor Ort. Die Alltagsbetreuer sind nicht im Pflegebereich tätig, sondern überwiegend in der Hauswirtschaft und in der Seniorenbegleitung und organisieren Freizeitprogramme, gehen mit den Senioren spazieren, erledigen kleinere Einkäufe oder Hausmeistertätigkeiten.

Die Kindergartenhelfer sind − auch − in Schulen tätig, als hauswirtschaftliche Mitarbeiter bereiten sie das Frühstück vor, kaufen frisches Brot oder Milch und räumen Geschirrspülmaschinen ein und aus. Sie begleiten Kinder bei Unterrichtsstunden, beim Morgenkreis, im Gesangsunterricht oder in den Kunstbereichen. In den Kita-Einrichtungen (von der Krippe bis zum Hort) sind sie oft im hauswirtschaftlichen Bereich, aber „einige übernehmen bereits kleine Aufgaben unter Aufsicht im Betreuungsbereich. Sie haben einfach ein Händchen dafür. Das kann man nicht im Ausbildungsplan verordnen. Manche machen erstaunliche Wandlungen durch und entdecken Talente, die wir vorher niemals bei ihnen vermutet haben“, erzählt Janet Steffens-Grüning vom Fachdienst Betriebliche Integration der Lebenshilfe Braunschweig. Viele Themen stehen auf der Agenda der Kitahelfer-Qualifizierung: die Kindeswohlbelehrung (in leichter Sprache), die Belehrung nach dem Infektionsschutzgesetz, ein großes Thema ist der Datenschutz, dann Pflichten und Rechte der Teilnehmer, eine Hygieneschulung, Erste Hilfe am Kind und Unfallprävention, wichtig sind auch Verkehrserziehung und der Umgang mit verschiedenen Kulturen und Religionen. Dazu kommen Module wie Kochen und Backen mit Kindern und die Gestaltung von Spiel- und Beschäftigungsangeboten oder auch Kommunikation. Die Braunschweiger haben selbst das Thema „Kindliche Entwicklung bis zum Schuleintritt“ in leichter Sprache aufgearbeitet und auch das Thema Stressbewältigung. „Viel Stoff und wir haben uns gefragt, ob wir die Qualifizierung nicht auf zwei oder drei Jahre ausdehnen sollten. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass wir selbst ohne die einjährige Qualifizierung mindestens fünf Teilnehmer in Kitas hätten unterbringen können, weil sie einfach vor Ort so viele Dinge im praktischen Tun lernen. Ich bekomme oft die Rückmeldung in den Qualifizierungen: Kenne ich schon, haben wir in der Kita schon gemacht. Dann können die Teilnehmer mit der Lernsituation viel mehr anfangen. Deshalb bleiben wir bei dieser einjährigen Qualifizierung.“ Weiterbildungen für qualifizierte Mitarbeiter finden darüberhinaus zwei- bis viermal pro Jahr statt. „Inzwischen haben wir 20 Kitahelfer und 26 Alltagshelfer qualifiziert, alle sind auf Außenarbeitsplätzen tätig und vier ehemalige Beschäftigte sind in sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze vermittelt.“ Nützt dabei eine IHK-Zertifizierung der Qualifizierung? Janet Steffens-Grüning: „Ich glaube nicht, dass die Vermittlungschancen auf den 1. Arbeitsmarkt dadurch deutlich erhöht werden. Ich habe eine Personalverantwortliche in einer Senioreneinrichtung befragt, ob sie jemanden eher übernehmen würde, wenn er ein Zertifikat von der IHK hätte. Ganz klare Antwort: Wenn hier jemand ein Praktikum macht und er macht seinen Job gut, dann hängt die Entscheidung, ob er passt und übernommen wird, nicht von einem Zertifikat ab.“

Bei den Iserlohner Werkstätten sind die Qualifizierungen zum Alltagshelfer im Berufsbildungsbereich angesiedelt, der Quereinstieg aus dem Arbeitsbereich ist jederzeit möglich. Kathrin Weber-Weise: „Das Interesse an Qualifizierungen in Richtung Betreuung und Hilfeleistung kam von unseren Teilnehmern im Berufsbildungsbereich. Wir haben zuerst Krankheitsbilder bei älteren Personen, Behinderungsbilder, Epilepsie, Diabetes, Demenz geschult. Das war noch nicht spezialisiert, denn es ging zunächst um Einsatzmöglichkeiten innerhalb der Werkstatt: Wir haben alle Personenkreise hier, auch schwerstmehrfach behinderte Menschen, und einen Bereich für besondere Betreuung für älter werdende Beschäftigte. Die Teilnehmer haben Praktika als Gruppenhelfer in unterschiedlichen Bereichen innerhalb der Werkstatt absolviert, aber schnell haben wir erweitert und sie in Praktika außerhalb der Werkstatt gebracht. Die Praktika sind meistens mit hauswirtschaftlichen Tätigkeiten gekoppelt. Einige Teilnehmer sind auch ohne vorgeschaltete Qualifizierung auf ihren ausgeschriebenen Wunscharbeitsplatz gewechselt. Daraufhin begannen wir 2012, Module für die Qualifizierungen zum Alltagshelfer im Seniorenheim und zum Kitahelfer zu entwickeln. Im ersten Jahr der beruflichen Bildung qualifizieren wir gemäß Rahmenbildungsplan, gefolgt von der Spezialisierung in Praktika auf betriebsintegrierten Plätzen in den folgenden Jahren. Das Tätigkeitsspektrum der Alltags- oder Kitahelfer ist so vielseitig, dass wir genau auf das hin qualifizieren, was sie speziell für ihren Arbeitsplatz benötigen.“ Inzwischen sind 17 Beschäftigte auf Einzelaußenarbeitsplätzen in Betreuung (Kindergärten, Schulen) und neun arbeiten auf einem Gruppenaußenarbeitsplatz im Seniorenzentrum auf der Station im Bereich Service. Und was denkt sie über eine Zertifizierung der Qualifizierungsbausteine, gäbe es da einen Mehrwert? Kathrin Weber-Weise lacht: „Nein! Für einen Menschen mit Lernschwierigkeiten erschließt sich mir mit einer IHK-Zertifizierung kein Mehrwert. Wir wollten damals die Module zertifizieren lassen und hatten bereits über 20 kleingliedrige Bausteine entwickelt. Jeder hätte in der Zertifizierung zwischen 50 und 60 Euro gekostet, ca. 80 Qualifizierungsbausteine hätten wir benötigt. Dazu kommt dann noch die Arbeitskraft, die die Bausteine IHK-passend gestalten muss. Bisher haben unsere Teilnehmer in den Praktika durch ihre Persönlichkeit als Mensch überzeugt und die Anforderungen am Arbeitsplatz durch die spezielle Qualifizierungskonzeption optimal erfüllt. Deshalb haben wir uns von der IHK-Zertifizierung verabschiedet.“

Ein anderes Konzept verfolgt man bei alsterarbeit, der Werkstatt-Tochter der evangelischen Stiftung Alsterdorf in Hamburg. „Wir sind mit einer Außenarbeitsgruppe als Betreuungsdienstleister im Service-Wohnen tätig. Beim Service-Wohnen schließen die Mieter in einer Senioren-Wohnanlage einen Vertrag mit einem Betreuungsdienstleister ab und buchen zum Wohnen spezielle Dienstleistungen dazu, wie Beratung, Unterstützung in Krisensituationen, die Begleitung bei Arztbesuchen, Freizeitangebote, die Erledigung von kleinen Einkäufen. Als Betreuungsdienstleister stellen wir sicher, dass zu bestimmten, mit dem Wohnungsbauträger vereinbarten Zeiten Ansprechpersonen vor Ort sind und unser Team die zugesagten Aufgaben übernehmen. Sie sind geschult im Umgang mit Senioren, wir leiten sie dafür an, verwenden aber kein starres System mit vorgeschriebenen Modulen. Bei uns kann man einfach anfangen und sich die einzelnen Schulungsinhalte aneignen, die jeder Einzelne individuell benötigt. Bei speziellen Fortbildungen sind alle dabei“, erzählt Manuela Siefjediers, die das Konzept entwickelte. Die acht Beschäftigten vor Ort bieten Veranstaltungen wie beispielsweise ein wöchentliches Gemeinschaftsfrühstück, Englischkurse, Spielenachmittage, ein Nordic-Walking-Treff, kleine Hausmeistertätigkeiten, Einkäufe und Begleitungen der Mieter an.

Im Team arbeiten fast ausschließlich Menschen mit psychischen Erkrankungen. Vor dem Start des Projekts durchlief die Gruppe eine dreimonatige vorbereitende Qualifizierungsphase, die Grundkenntnisse für die Arbeit mit Senioren, aber auch Dienstleistungsinhalte vermittelte: also den Umgang mit Demenz, Schwerhörigkeit oder Mobilitätseinschränkungen, aber auch „Tische eindecken“. Inzwischen „bewirtschaftet“ die Außenarbeitsgruppe statt der anfänglich 41 Wohnungen bereits 121. Eine gigantische Erweiterung, findet Manuela Siefjediers. „Wichtig ist uns die berufliche Zufriedenheit unserer Beschäftigten. Sie sollen zum Zuge kommen und ihre individuellen Ressourcen einsetzen können. Das Team ist sehr offen von den Mietern aufgenommen worden und mittlerweile voll akzeptiert. Es gab viel weniger Erklärungsbedarf, als wir anfangs gedacht hatten. Die zusätzliche, schulische Qualifizierung hängen wir aber nicht so hoch, denn unsere Beschäftigten sind reife Erwachsene mit einer vorausgegangenen beruflichen Laufbahn in verschiedenen Berufsgruppen, Rettungssanitäter, gelernte Bäcker oder auch Anglistikstudenten. Diese Menschen wollen mit 45 nicht wieder ‚auf die Schulbank‘. Unsere Erfahrung zeigt, dass sich viel Know-how und Fähigkeiten durch soziale, praktische Interaktion entwickeln. Das ist schwierig in Schulform zu vermitteln, das muss man erleben und ausprobieren. Es ist einfacher, den Umgang mit Mietern an konkreten Beispielen zu schulen, also Beschäftigte nach einer sozialen Interaktion konkret anzusprechen und Tipps zu geben. Dann lernen alle voneinander und kommen zu einer großen inklusiven Hausgemeinschaft zusammen. Das in praktischer Umsetzung zu erleben, bereitet uns viel Spaß.“

Fazit
In allen drei Einrichtungen hat sich gezeigt: Qualifizierung ja, aber welches Know-how ein Teilnehmer braucht, entscheidet sich in der praktischen Arbeit am Einsatzort, beim „Training on the job“. Das entscheidende, das wesentliche Argument, einen Werkstattbeschäftigten auf einen Außenarbeitsplatz oder in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu übernehmen, ist er selbst.




Veranstaltungen
Fachtag Arbeitssicherheit

Cover Veranstaltung

Die Anzahl der begleitenden Arbeitsplätze in Betrieben wächst, und immer kommen neue Arbeitsgebiete und Anforderungen dazu.




Jahrestagung 2017

Cover Veranstaltung

Über mein Leben entscheide ich
Wie Menschen mit Behinderung ihre berufliche Integration selbst bestimmen können
Offene Mitgliederversammlung/Jahrestagung UN-Konventionell 2017


Werkstättenmesse

Auch im nächsten Jahr sind wir als Verein auf der Werkstättenmesse in Nürnberg vertreten. Die Messe findet vom 29. März bis 01. April 2017 statt. Wir freuen uns auf Ihren Besuch an unserem Stand!



Wir wünschen Ihnen ein entspanntes und berührendes Weihnachtsfest. Kommen Sie mit einem guten Rutsch in ein erfolgreiches Jahr 2017!

Mit herzlichen und unkonventionellen Grüßen