in unserem Newsletter haben wir es uns zur Gewohnheit gemacht, Themen der beruflichen Integration aufzugreifen und zu vertiefen. In der ersten Ausgabe 2018 liegt es nahe, sich mit dem Bundesteilhabegesetz auseinanderzusetzen, genauer, mit der just zum 1. Januar 2018 in Kraft getretenen zweiten Stufe des BTHG.
Für die berufliche Teilhabe beinhaltet sie im Wesentlichen zwei Neuerungen: Die Zulassung anderer Leistungsanbieter und ein flächendeckendes Budget für Arbeit. Noch gibt es viele Unsicherheiten bzgl. der Bedingungen und der Ausgestaltung der neuen Leistungen. Wir wollen für Sie den Graubereich beleuchten und, soweit möglich, Antworten auf die wichtigsten Fragen geben.
1. Andere Leistungsanbieter
Was sind andere Leistungsanbieter?
Mit den anderen Leistungsanbietern schafft der Gesetzgeber eine Alternative zur beruflichen Bildung und zur Beschäftigung in einer WfbM. Leistungsberechtigt sind alle, die einen Anspruch auf Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Menschen haben. Mit dieser neuen Leistung rückt der Gesetzgeber von dem Gebot der "Einheitlichkeit der Werkstatt" ab, die in § 1 der Werkstättenverordnung verankert ist. Anders als Werkstätten müssen sich andere Leistungsanbieter nicht als WfbM anerkennen lassen. Stattdessen schließen sie nach §§ 123 ff. SGB IX mit dem jeweils zuständigen Leistungsträger eine Leistungsvereinbarung ab und weisen nach, dass sie den gesetzlichen Qualitätsanforderungen genügen. Weitere Erleichterungen: Andere Leistungsanbieter haben keine Aufnahmeverpflichtung und müssen nicht die Mindestgröße von 120 Plätzen vorhalten. Sie müssen auch nicht das gesamte Leistungspaket der WfbM anbieten, sondern können sich auf die berufliche Bildung oder Arbeitsangebote bzw. Teilleistungen in diesen Bereichen konzentrieren. Ihre Zulassung macht einen Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Angebotsformen möglich und hebt das Monopol der Werkstätten in der beruflichen Teilhabe auf, das bis heute in weiten Teilen des Bundesgebietes gilt. Für Leistungsberechtigte ergeben sich verbesserte Wahlmöglichkeiten. Es bleibt aber beim arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis, und die Beschäftigten haben auch bei anderen Leistungsanbietern keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn.
Was beabsichtigt der Gesetzgeber mit dem neuen Angebot?
Auf diese Frage gibt das zuständige Ministerium zwei Antworten. Die erste lautet: Die Werkstatt bietet in ihrer heutigen Form nicht genügend Vielfalt. In den "Fragen und Antworten zum Bundesteilhabegesetz" führt das BMAS aus: "Bisher wurde das Beschäftigungsangebot auf anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) konzentriert. Es trägt dem heterogenen Personenkreis der Leistungsberechtigten aber nicht in ausreichendem Maße Rechnung. Insbesondere Menschen mit psychischen Behinderungen fühlten sich in Werkstätten für behinderte Menschen oft fehlplatziert, hatten aber oftmals keine anderen Möglichkeiten, am Arbeitsleben teilzuhaben." Deshalb ermöglicht das Gesetz zielgruppenbezogene Kleinwerkstätten.
Die zweite Antwort nimmt Bezug auf die UN-Behindertenrechtskonvention. Sie lautet: "Wir wollen die Inklusion befördern." Angedacht sind betriebsintegrierte Bildungsmaßnahmen, Abteilungen in Unternehmen und Integrationsbetrieben sowie Angebote, die ausschließlich oder überwiegend aus betrieblichen Einzelarbeitsplätzen bestehen.
Wer kann anderer Leistungsanbieter werden?
Am leichtesten dürfte der Markteinstieg für leistungsstarke Träger werden, die bereits Integrationsfachdienste, Bildungs- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, Berufsbildungs- und Berufsförderungswerke betreiben. Auch privatrechtlich organisierte Unternehmen könnten Interesse bekunden. Für kleinere Träger sowie für Gruppenleiter, Sozialpädagogen oder Jobcoachs aus Werkstätten, die sich als andere Leistungsanbieter etablieren wollen, dürften die Vorgaben der Werkstattgesetzgebung eine hohe Hürde sein. Der bürokratische Aufwand dürfte wahrscheinlich auch die meisten Unternehmen davon abhalten, sich eine "Werkstattabteilung" zuzulegen.
Können Werkstätten ebenfalls als andere Leistungsanbieter agieren?
Im Prinzip schon, wenn auch nicht als Teil einer WfbM, sondern unter ihrem Trägerdach, unter dem das neue Leistungsangebot als eigenständige Betriebseinheit agiert. Das Gesetz sieht zudem Kooperationen zwischen WfbM und anderen Anbietern als modulare Lösungen vor. Nach § 62 SGB IX kann ein Leistungsberechtigter verlangen, dass mehrere Anbieter die von ihm gewünschte Leistung erbringen, seien es andere Leistungsanbieter gemeinsam mit einer Werkstatt oder ausschließlich andere Anbieter.
Haben mit dem neuen Gesetz alle Leistungsberechtigten ein Wahlrecht?
Prinzipiell ja. Allerdings ist dieses Recht nicht gleichbedeutend mit einer realen Wahlmöglichkeit. Sie setzt das Vorhandensein entsprechender Angebote voraus. Leistungsträger können es potenziellen Anbietern über die Zulassungskriterien erschweren, sich zu akkreditieren. Eine scheinbare Handhabe bietet dafür eine Regelung im § 60 SGB IX, die besagt: (3) Eine Verpflichtung des Leistungsträgers, Leistungen durch andere Leistungsanbieter zu ermöglichen, besteht nicht. Das Wort "ermöglichen" ist allerdings nicht gleichbedeutend mit "gewähren". Die Erläuterung des Gesetzgebers zu § 60 (3) besagt: "Dieser Absatz bestimmt, dass der für die Leistung zuständige Rehabilitationsträger nicht verpflichtet ist, dem Leistungsberechtigten einen anderen Leistungsanbieter nachzuweisen." Mit anderen Worten: Er muss nicht dafür sorgen, dass es einen anderen Leistungsanbieter gibt, darf aber die für die Zulassung nicht willkürlich verweigern.
Welche Konsequenz hat das BTHG für die Leistungsträger?
Viele Beobachter glauben, dass das neue Angebot unter Spargesichtspunkten konzipiert wurde: Ein Platz bei einem anderen Leistungsanbieter werde kostengünstiger als ein Platz in einer anerkannten WfbM. Die Leistungsträger sind dagegen überwiegend der Ansicht, dass es für sie teurer wird: Mit attraktiven Angeboten werde auch die Nachfrage steigen. Dafür gibt es Anhaltspunkte: Nach Berechnungen der Aktion Psychisch Kranke nehmen werkstattberechtigte seelisch Behinderte nur zu 10 Prozent einen Werkstattplatz in Anspruch. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe bewertet die neuen Anbieter kritisch: Sie führten lediglich zu einer Ausweitung arbeitnehmerähnlicher Rechtsverhältnisse und stellten für die Leistungsberechtigten keine echte Verbesserung dar. Er will weitere Zuwächse vermeiden und Werkstätten verstärkt verpflichten, Zugänge zum Arbeitsmarkt zu schaffen.
2: Das Budget für Arbeit
Was ermöglicht das "Budget für Arbeit"?
Das Budget für Arbeit greift Erfahrungen aus Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Hamburg auf. Es soll Werkstattberechtigten den Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtern. Leistungsbestandteile sind Lohnkostenzuschüsse an den Arbeitgeber sowie die Finanzierung der Arbeitsbegleitung durch einen Fachdienst. Das Budget für Arbeit setzt ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis voraus. Hat der Berechtigte eine Tätigkeit in Aussicht, muss er sein Budget beim zuständigen Leistungsträger beantragt. Die Auszahlung des Lohnkostenzuschusses kann direkt an den Arbeitgeber erfolgen.
Welche Erfahrungen gibt es mit dem Budget für Arbeit?
Das Budget für Arbeit war in Rheinland-Pfalz und in Niedersachen kein großer Erfolg. Die Vermittlungen bewegen sich in Rheinland-Pfalz seit seiner Einführung 2006 im dreistelligen Bereich, in Niedersachsen (seit 2008) sind sie, bei 30.000 Werkstattplätzen, nur zweistellig. Die Vermittlungszahlen in Hamburg (seit 2012) liegen − u.a. wegen der besseren finanziellen Ausstattung und der Unbefristetheit der Verträge − deutlich höher.
Welche Behörde ist für das "Budget für Arbeit" zuständig?
Ansprechpartner für den Betroffenen sowie den Arbeitgeber ist die Behörde, die für die Leistungen zur Beschäftigung im Arbeitsbereich der Werkstätten für behinderte Menschen zuständig ist, in der Regel der Träger der Eingliederungshilfe.
Wie hoch ist der Lohnkostenzuschuss des Budgets für Arbeit?
Der Lohnkostenzuschuss orientiert sich am Arbeitsentgelt (Arbeitnehmerbrutto). Er beträgt bis zu 75 Prozent des vom Arbeitgeber regelmäßig gezahlten Arbeitsentgeltes. Der Zuschuss zum Arbeitsentgelt kann bis zu einer Höhe von 40 Prozent der monatlichen Bezugsgröße betragen (s. §18,1 SGB IV), aktuell sind dies rund 1 200 Euro. Die Länder können nach Landesrecht einen höheren Betrag festlegen. Die Höchstgrenze gilt unverändert auch für eine Teilzeitbeschäftigung.
Dürfen auch voll erwerbsgeminderte Rentner das Budget für Arbeit nutzen?
Ja, und zwar unabhängig davon, ob sie den Rentenanspruch in der WfbM erworben haben oder bereits mit einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in die Werkstatt aufgenommen wurden. Anders als bei einer Beschäftigung in der Werkstatt für behinderte Menschen gelten beim Budget für Arbeit die Zuverdienstgrenzen der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung wird, abhängig von der Höhe des Arbeitsentgeltes, nur in verminderter Höhe gezahlt.
Gilt das Budget für Arbeit auch für den Berufsbildungsbereich?
Nein, das Budget für Arbeit ist eine Alternative zu einer Beschäftigung im Arbeitsbereich einer WfbM oder bei einem anderen Leistungsanbieter. Es setzt den Abschluss einer BBB-Maßnahme voraus. Ausnahme: Jemand hat bereits eine Qualifizierung absolviert, die ihn auf die künftige Beschäftigung vorbereitet. In der aktuellen Koalitionsvereinbarung der Großen Koalition ist jedoch die Einführung eines Budgets für Ausbildung aufgeführt, ebenso die Verlängerung einer "Assistierten Ausbildung" auf vier Jahre.
Was wird aus den Rentenansprüchen der Werkstattbeschäftigten?
Bei einer Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt im Rahmen des Budgets für Arbeit gelten die Regelungen des Sozialversicherungsrechts. Die Beitragszahlungen in die Rentenkasse übernimmt also nicht, wie in der Werkstatt, der Bund, sie bemessen sich am realen Lohn. Da die Budgetnehmer weiterhin als voll erwerbsgemindert gelten, steht ihnen nach § 43, SGB VI nach 20 Beitragsjahren eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu. Ihre Ansprüche aus der WfbM können sie mitnehmen. Zudem sind sie von der Arbeitslosenversicherung befreit, weil sie im Fall einer Arbeitslosigkeit von ihrem unbefristeten Rückkehrrecht in die WfbM Gebrauch machen können. Diese Regelung ist umstritten: Die Erfahrung zeigt, dass arbeitslos Gewordene häufig nicht in die WfbM zurück wollen.
Wie sind die neuen gesetzlichen Bestimmungen einzuordnen?
Die neuen Möglichkeiten des BTHG für die berufliche Teilhabe von Werkstattberechtigten sind ein Fortschritt, aber noch nicht der große Durchbruch im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Die neuen Leistungsanbieter führen nicht zu mehr Festeinstellungen in Betrieben, wie es dem Inklusionsgedanken entspräche. Kritiker spotten, sie böten nur eine "Werkstatt in Grün". In der Tat wird der Haupteffekt der Gesetzesnovellierung die Flexibilisierung der Werkstatt durch werkstattähnliche Angebote sein, weiterhin mit geringen Entgelten und in arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnissen. Aber auch dies lässt "inklusivere" Arbeitsmöglichkeiten zu und bringt den Leistungsberechtigten mehr Wahlalternativen.
Für den angestrebten Übergang hätte man die Instrumente "andere Leistungsanbieter" und "Budget für Arbeit" miteinander verknüpfen und Kostenbewilligung mit entsprechenden Auflagen zur Vermittlung über das Budget versehen können. Die Arbeitsweise und der Vermittlungserfolg spezialisierter Fachdienste wie der Hamburger Arbeitsassistenz oder ACCESS in Nürnberg wären dafür beispielhaft gewesen.
Mit Sorge muss man die sich abzeichnende restriktive Zulassungspraxis von Leistungsträgern betrachten. Auch die Bundesagentur baut Hürden für betriebsintegrierte Angebote auf. In ihrer "HEGA für andere Leistungsanbieter" richtet sie ihre Zulassungskriterien zu eng an der Werkstattordnung aus, die von speziellen Qualifizierungsräumen und festen Gruppen in Werkstattgebäuden ausgeht. Die andersgearteten Bedingungen einer integrierten Berufsbildung sind damit schwer in Einklang zu bringen. Damit werden die Vorgaben dem Geist des Gesetzes nicht gerecht, das der UN-Behindertenrechtskonvention und dem Inklusionsgedanken Rechnung tragen will.
Beim Budget für Arbeit liegt durch den vorzuschaltenden BBB die Weichenstellung ins Arbeitsleben im Wesentlichen bei den Werkstätten. Diese Festlegung erscheint zu starr, denn der Einstieg ist, wie die Erfahrung zeigt, richtungsweisend für den weiteren Verlauf des Berufslebens. Zu unflexibel ist auch die Festschreibung der Lohnkostensubvention. Ein Nachteilsausgleich sollte individualisiert erfolgen. Dass man mit weniger Geld auch erfolgreich vermitteln kann, hat die Hamburger Arbeitsassistenz seit über 20 Jahren bewiesen. Alles in allem ist das BTHG aber ein Schritt in die richtige Richtung: Es bringt mehr Wahlfreiheit, mehr Flexibilität, mehr Zugangsmöglichkeiten zum Arbeitsmarkt. Weitere Schritte sollten folgen.
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